Die Entwicklung der Zahnmedizin - speziell der Bereich der Implantologie - schreitet schnell voran. Unsere Redaktion sichtet die Vielzahl an Informationen und stellt hier für Sie Interessantes und Neues zum Thema zusammen:
Prof. Dr. Dr. Hendrik Terheyden, seit 2007 Chefarzt der von ihm mit aufgebauten Abteilung für Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie am großen Rot-Kreuz-Krankenhaus in Kassel-Wilhelmshöhe, ist seit November 2009 Präsident der Deutschen Gesellschaft für Implantologie (DGI). Er folgte auf Prof. Dr. Günter Dhom, Ludwigshafen, unter dessen Präsidentschaft die DGI vor allem im Bereich postgraduale Masterfortbildung auch in der eigenen Gesellschaft nicht unumstrittene Initiativen entwickelt hat. Im Gespräch mit DZW-Chefredakteurin Dr. Marion Marschall gab er Auskunft über die aktuelle Positionierung der DGI, die Leitlinien-Arbeit und die Bedeutung der Implantologie in einer modernen Zahnmedizin.
DZW: Herr Professor Terheyden, wie positioniert sich die DGI im Kreis der verschiedenen implantologischen Fachgesellschaften und Berufsverbände?
Prof. Dr. Dr. Hendrik Terheyden: Die DGI ist mit mehr als 7.000 Mitgliedern die größte deutsche und europäische implantologische Fachgesellschaft und hat allein dadurch entsprechendes Gewicht. Für uns stehen klar die Interessen unserer Mitglieder im Fokus, die zu gut 90 Prozent niedergelassene Praktiker sind. Wir verstehen uns als die wissenschaftliche Fachgesellschaft, deren Aufgabe es ist, die wissenschaftliche Basis der zahnärztlichen Implantologie für die Praxis bereitzustellen. Der Arztberuf ist ja ganz wesentlich ein wissenschaftlicher Beruf. Bei uns ist jeder willkommen, der diesen wissenschaftlichen Anspruch hat. Die Implantologie in der Praxis profitiert ganz eindeutig davon, wenn es eine wissenschaftliche Fachvertretung gibt.
DZW: Welche Rolle spielen hier Wissenschaft und Hochschule?
Terheyden: Wir haben einen guten Kontakt in die Wissenschaft und die Hochschulen. Uns ist die Einbindung der Zahnheilkunde in die wissenschaftlichen Aktivitäten in der Medizin wichtig – national und international. Gerade in der Implantologie gab und gibt es in Deutschland viel gute Forschung.
DZW: Für einige Unruhe in den anderen Fachgesellschaften, in der Standespolitik und auch bei den niedergelassenen Zahnärzten sorgte Ihre Ankündigung, Leitlinien für die Implantologie erarbeiten zu wollen. Was hat es damit auf sich, und wie entwickelt sich dieses Vorhaben?
Terheyden: Ja, wir haben vonseiten der DGI Anfang des letzten Jahres eine neue Konsensuskonferenz zum Thema Leitlinien auf den Weg gebracht. Dazu haben wir alle Gesellschaften angeschrieben und eingeladen, an der Erarbeitung dieser Leitlinien mitzuarbeiten, wie das in der Medizin üblich ist. Der Auftrag dazu kommt von der AWMF, der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften, der auch die DGI angehört.
Es geht nicht darum, den Kollegen etwas vorzuschreiben, was für die Praxis unrealistisch ist. Mir ist bewusst, dass es hier in der Vergangenheit Fehler gegeben hat und so auch ein negatives Bild von Leitlinien entstanden ist. Eine gute, wissenschaftlich erarbeitete Leitlinie soll nicht die Therapie einschränken, sondern aufzeigen, was gesichertes Wissen ist. Sie kann so auch neue Freiräume eröffnen.
Die erste Runde der Leitliniensitzungen hat Ende September 2010 stattgefunden – in einer sehr konstruktiven Atmosphäre. Wir haben für die erste Sitzung vier Themen priorisiert. Den aktuellen Stand haben wir in Hamburg auf unserer großen Jahrestagung Ende November 2011 vorgestellt.
DZW: Sie folgen mit der Erarbeitung von Leitlinien für die Implantologie ja auch der Medizin, wo es schon eine Fülle von Leitlinien unterschiedlichen Niveaus gibt. In der Medizin rühren sich aber bereits kritische Stimmen, die Erfahrungen mit diesen Leitlinien sind in den ersten Evaluierungen nicht nur positiv. Vielen kommt in den Leitlinien auch die praktische Evidenz, die Kompetenz der Praktiker zu kurz. Wie greifen Sie diese Erfahrungen für die Zahnmedizin auf?
Terheyden: Evidenzbasierte Medizin (EBM) bedeutet nicht die Vorherrschaft wissenschaftlicher Studien gegenüber der praktischen Erfahrung klinisch tätiger Ärzte. Dies wird im Übereifer mitunter vergessen. Ein Problem ist nur, dass heute kaum ein Praktiker mehr den Überblick über die Zehntausende jährlich erscheinender wissenschaftlicher Studien halten kann. Leitlinien komprimieren diese Studien in eine praxisgängige Form – digested information, wie man englischsprachig sagt. Für den Vorkämpfer der evidenzbasierten Medizin, den kanadischen Epidemiologen David L. Sackett, ruht die Praxis der EBM auf drei Säulen: auf der externen (wissenschaftlichen) Evidenz, auf der individuellen klinischen Erfahrung eines Arztes und den Erfahrungen und Erwartungen Betroffener. Darum sitzen bei der Leitlinienarbeit der DGI Wissenschaftler und Praktiker zusammen – ganz wie es die Tradition in der DGI ist. Über die Zahnärztlichen Zentralstelle Qualitätssicherung (ZZQ) sind auch die Patienten vertreten. Leitlinien sollen Entscheidungsräume offen halten, sie definieren einen offenen Behandlungskorridor.
DZW: Viele niedergelassene Zahnärzte können mit den verschiedenen Einstufungen dieser Leitlinien wie S1, S2 oder gar S2k und S2e sicher auf Anhieb nicht viel anfangen, gerade wenn das Studium schon eine Weile her ist. Das gilt sicher auch für die Frage, welche Bedeutung diese Leitlinien für ihre Praxis haben und wie sie diese in ihrer Arbeit umsetzen sollen. Wie werden Sie in der DGI dieses nötige Wissen vermitteln, die Leitlinien quasi für die praktische Anwendung „herunterbrechen“?
Terheyden: Es wird natürlich eine wissenschaftliche Publikation geben, der weitere Veröffentlichungen folgen. Man sollte indes nicht davon ausgehen, dass Leitlinien stets unhandliche, schwer lesbare Kompendien sind. Es wird zum Beispiel eine Patientenversion gefordert. Und im Übrigen gilt: Man kann S1, S2e oder S2k, S3 mit wenigen Sätzen definieren. S1 ist ein Expertenkonsens, S2 stellt Anforderungen an die Repräsentativität der Gruppe und die Systematik einer vollständigen Literaturrecherche. Je nachdem, wie viel Literatur da ist, wird die Leitlinie dann S2e (evidenzbasiert) oder S2k (konsensbasiert, wobei der Konsensus formal, zum Beispiel nach dem nominalen Gruppenprozess zu erzielen und zu dokumentieren ist). S3 vereinigt dann die jeweils höchsten formalen Stufen der Leitlinienentwicklung, unter anderem beispielsweise die Literatursuche durch unabhängige Dritte, professionelle Bibliothekare.
Quell www.dzw-online.de
Das vollständige Interview mit Herrn Prof. Dr. Dr. Hendrik Terheyden lesen Sie in der DZW 19/11 auf Seite 1.